Die energierechtliche Bewilligung für die 110-kV-Freileitung könnte bald wertlos sein. Dasselbe würde für die in Kürze fällige naturschutzrechtliche Bewilligung gelten. Dann nämlich, wenn eine kaum sechs Monate alte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auch für die umstrittene Leitung zwischen Vorchdorf und Kirchdorf gilt. Vier Gemeinden haben unter Berufung auf das neue Urteil über eine auf Umwelt- und öffentliches Recht spezialisierte Anwaltskanzlei genau dies beantragt. Das Land muss jetzt binnen sechs Wochen feststellen, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen ist.
Foto: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg – mit einem Urteil, das der Energie AG in die Parade fahren könnte
Bericht: In den Oö. Nachrichten vom 14.10.2013
110-kV-Leitungen benötigen im Normalfall keine Umweltverträglichkeitsprüfung. So wird das österreichische UVP-Gesetz bisher verstanden. Es nennt konkrete Werte, die für eine UVP-Pflicht überschritten sein müssen. Der Europäische Gerichtshof hat den österreichischen Behörden und Gerichten dazu nun Nachhilfe erteilt: Sie dürfen nämlich nicht glauben, eine ganze Klasse von Projekten bräuchte von vornherein keine UVP, weil sie unter einem Schwellenwert liegen. Vielmehr muss eine UVP unabhängig von solchen Schwellenwerten durchgeführt werden, wenn es erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt gibt.
Erhebliche Auswirkungen der geplanten Freileitung – z. B. auf das Landschaftsbild und hinsichtlich der Gefährdung ausgedehnter Waldflächen – haben aber alle bisher beigezogenen Sachverständigen klar und unwidersprochen aufgezeigt. Die Voraussetzungen für eine UVP-Pflicht sind daher durchaus gegeben. Sie müssen nicht erst behauptet und belegt werden. Doch warum sollte das UVP-Verfahren bessere Chancen bieten als etwa das noch laufende Naturschutz-Verfahren? – Dies wird in einem 7-seitigen Antragsschreiben deutlich, das die in Umwelt- und öffentlichem Recht speziell ausgewiesene Wiener Kanzlei von Univ.-Doz. Dr. Wolfgang List (Foto) der Behörde jetzt vorgelegt hat.
Anrainer, Umweltorganisationen und Gemeinden können auf das Erdkabel verweisen
Anders als in den sonstigen Bewilligungsverfahren ist bei der UVP eine Alternativenprüfung zwingend vorgeschrieben. Konkret bedeutet das: Die Freileitung, die eine Reihe nachteiliger Eingriffe mit sich bringt, hätte wenig Chancen gegen das Erdkabel, das nachweislich umweltrelevante Eingriffe völlig vermeidet bzw. auf ein Minimum reduziert. Darauf wurde zwar auch bisher schon immer wieder hingewiesen. Die Behörden haben sich aber stets darum herumgedrückt, sich mit diesem Vergleich auch nur zu beschäftigen. Genau das ist auch Kern der anhängigen Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof.
Das laufende naturschutzrechtliche Verfahren findet praktisch hinter verschlossenen Türen statt. Bei der UVP können dagegen auch Anrainer, Umweltorganisationen (Alpenverein etc.) und die Gemeinden mit Parteienrechten ausgestattet und in öffentlichen Verhandlungen ihre Stellungnahmen vorbringen. Insgesamt besteht also zwischen Energie AG als Projektwerberin und den Befürwortern der Erdkabel-Alternative deutlich mehr "Waffengleichheit".
Schließlich gibt es auch für die vielen Grundeigentümer, die immer noch von Enteignungsanträgen bedroht sind, eine gute Nachricht: Solange die Umweltverträglichkeitsprüfung läuft, wäre die vorliegende Bewilligung nach dem Energierecht außer Kraft gesetzt. Damit fehlte dann auch die Rechtsgrundlage, überhaupt Enteignungen zu beantragen. Die Vernunft hätte wieder eine Chance gegen rohe Gewalt.
Verfasst von 110kV ade am 8. Oktober 2013 - 19:48
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